Grundsätze

Kinder als MitbürgerInnen

  1.  Partizipation von Kindern: nicht „good will“, sondern Anwenden von Menschenrechten
Partizipation von Kindern ist seit 22 Jahren nicht mehr nur ein „good – will“ – Akt von Erwachsenen, sondern ein verankertes Kinderrecht der UN – Kinderrechtskonvention (Artikel 12), welches auch Österreich ratifiziert hat und sich damit verpflichtet hat, diesem Kinderrecht zur Umsetzung zu verhelfen. 
Kinder werden aber häufig in die Position von Minderheiten gedrängt. Sie können in Bildungseinrichtungen nicht über Bildungsinhalte mitbestimmen, sie haben kein gesetzlich eindeutig formuliertes Recht, an öffentlichen Angelegenheiten mitzuwirken und diese mitzugestalten. Immer wieder werden Kinder auf ‘demokratische Spielwiesen’ verwiesen. Die Isolierung von Kindern in Schule und Familie, die Entfremdung von der Gesellschaft und die Abtrennung der Erfahrungszyklen verstärken die Integrationsschwierigkeiten von Kindern. Diese Schwierigkeiten dienen wiederum zur Rechtfertigung für Ausgrenzung und Entpolitisierung. "Die räumliche und zeitliche Absonderung der Kinder war verknüpft mit dem Ausschluss von Mitbestimmung, Selbstbestimmung und Eigeninitiative. Fehlende Selbstverantwortungs- und Teilhabemöglichkeiten vermittelten eine ‘Inkompetenz’ der Kinder, denen keine eigene Zielperspektive zugestanden wurde und die Vertretung ihrer Interessen den Erwachsenen überlassen mussten. Kindheit wurde zum ‘Vorhang, den man zwischen vernünftigen Menschen zieht’“.1 Bertrand Stern formulierte diesen Sachverhalt sehr treffend in einem Satz: „Lautet die Grundfrage womöglich: werden sie als  Kinder nur deswegen gehalten, weil sie für Kinder gehalten werden?“2
Bei der Erweiterung der Grenzen der Mitbestimmung auf die eine oder andere Weise handelt es sich also um Rechte wie z.B.:
  • direkte Rechte, hier und jetzt bei konkreten Entscheidungen dabei zu sein
  • das Recht, bei Prozessen dabei  zu sein, die zu einer höheren Erkenntnis dessen führen, an deren Entscheidung man beteiligt ist.

  1. Partizipation von Kindern– nicht nur eine menschenRechtliche Frage, sondern vor allem eine Frage der MenschenWürde
Kinder als MitbürgerInnen zu sehen, repräsentiert eine bestimmte Haltung zum Zusammenleben mit Kindern. Die fehlende Selbstverständlichkeit, dass man jemanden anderen unabhängig von gesellschaftlichen Labels (Alter, Geschlecht, Herkunft, Behinderung, …) ernst nimmt, ist erstaunlich. Das wäre eigentlich eine Frage der Menschenwürde.
  1. Demokratie ist keine Festansprache
Demokratie ist keine Festansprache bei besonderen Anlässen, sondern eine Frage der ‘täglichen Mitbestimmung’. Daher muss Demokratie auch gelebt werden in allen Subsystemen einer Gesellschaft, die sich zur Demokratie verpflichtet hat, also auch in Bildungseinrichtungen.
  1. Demokratie, partizipatives Agieren früh lernen
Sigmund Freud hat der Kindheit und den Lernerfahrungen in diesem Alter große Bedeutung beigemessen. Es lässt sich vermuten, dass auch Lernerfahrungen in Zusammenhang mit demokratischen Verhaltensmustern, die bereits in der Kindheit erlebt werden, wichtig sind für weitere Persönlichkeitsentwicklungen und der Haltung gegenüber Demokratie im späteren Alter. Daher ist es wichtig, bereits Kinder in jungem Alter in demokratische Prozesse einzubinden.
  1. Repolitisierung von Kindern/ Kindheit
  • Politische Marginalexistenz von Kindern
„Demnach werden Kinder diskriminiert, weil sie zumeist nur Betroffene von Entscheidungen der Erwachsenen sind. 'Kinder leben mit ihrer Verantwortung mit einem Fuß im 21.Jahrhundert, mit ihren Rechten aber im Feudalismus.“3
„Den Kindern wird in der Regel weder das Interesse an der Politik, noch die notwendige Kompetenz zugestanden.”4 Die Position der Kinder ist gekennzeichnet durch einen geringen Anteil an den Ressourcen der Erwachsenen. Sie haben eingeschränkte Rechte und mangelhafte Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten.
Auch die Pädagogik und eine damit verbundene Pädagogisierung der Kindheit trug dazu in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart bei: „Erziehung lässt sich … als einer der Hauptgründe für die Entpolitisierung von Kindern, für deren Ausschluss von politischer Mitbestimmung und von der Beteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungen ausmachen. …. Erziehungslehre, -kunst und -wissenschaft gibt es zwar solange wie es schriftliche Überlieferungen aus den Kulturen gibt. Mit der ‘Entstehung der Kindheit’ wurde sie aber zu einem Element, das zur Rechtfertigung des Ausschlusses der Kinder von der (macht-)politischen Teilhabe herangezogen wurde.”5

  • Entpolitisierung
Philippe Aries thematisiert zum ersten Mal in der Geschichte die Erfindung der Kindheit6. Die Einführung der sozialen Kategorie Kinder geht einher mit ihrem politischen Ausschluss, mit ihrer Entpolitisierung. Jürgen Zinnecker greift dies in seinem Buch „Kinder als Außenseiter?“7 1996 auf, Rolf Nemitz kritisiert die pädagogische Differenz von Kindern und den sogenannten Erwachsenen 1996.8 Die Bedeutung, den Kindern ihren bürgerlichen Status auch im Sinne der Partizipation wieder zurück zu geben, sieht beispielsweise Frercks Hartwig-Hellstern in seinem Buch „Kinderbürger“ 19959, auch Christine Lost mit dem Buch „Auch Kinder sind Bürger“ 199910 .

Die Verbesserung politischer Partizipation von Kindern geht einher mit der Veränderung des Bildes und dem Konstrukt von Kindheit. Kindheitskonstrukte und –bilder bremsen, limitieren oder erweitern die Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation junger Menschen. Je mehr Kinder als eigenständige AkteurInnen eingestuft werden, desto ernsthafter, umfangreicher und nachhaltiger ist ihre Partizipation. Daher ist die Diskussion von Kindheitskonstrukten parallel zur Thematik der Partizipation essentiell.

  • Repolitisierung
Im Vordergrund steht nicht das Endprodukt „Erwachsener”, wo das Interesse an Kindheit mehr vom zukünftigen Erwachsenen als vom gegenwärtigen Kinddasein geprägt ist (Kinder als „nächste Generation”). Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, wie Kinder handeln und welche Bedeutungen ihren Handlungen in Bezug auf sie selbst und die Gesellschaft zugewiesen werden können. Kinder sind vielmehr als AkteurInnen zu betrachten, denn Kinder haben ein Eigenrecht als AkteurInnen. Daher sind auch alle Elternverwaltete Kindergruppen eine wichtige Investition in diese Lebensform Demokratie.


1 ebd. S. 20.

2 Stern, Bertrand: Sind Kinder auch Menschen? In: Schröder, Martin (Hg.): Kindheit- ein Begriff wird mündig. Wolfratshausen: Drachen- Verlag, 1992. S.132.


3 Ebd. S.23

4 Hartwig - Hellstern, Frercks: Kinderbürger. Über die politische Beteiligung von Kindern. Bonn: Kid-Verlag, 1995, S.16

5 Ebd. S.21-25

6 vgl. Aries, Philippe: Geschichte der Kindheit. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1998.

7 vgl. Zinnecker, Jürgen u.a. (Hg.): Kinder als Außenseiter? Umbrüche in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Kindern und Kindheit. Weinheim und München: Juventa, 1996.

8 vgl. Nemitz, Rolf: Kinder und Erwachsene. Zur Kritik der pädagogischen Differenz. Hamburg: Argument, 1996.

9 vgl. Hartwig–Hellstern, Frercks: Kinderbürger. Über die politische Beteiligung von Kindern. Bonn: Kid - Verlag, 1995.

10 vgl. Lost, Christine: Auch Kinder sind Bürger. Hohengehren: Schneider Verlag, 1999.